Milan Mythen

Es gibt einige hartnäckige Mythen über das Milan-Protokoll und die zugrunde liegende AVB-Technologie.
Auf dieser Seite werden die häufigsten Missverständnisse erläutert und die tatsächliche Sachlage verständlich erklärt.

Inhaltsverzeichnis

Info

Die Informationen auf dieser Seite setzen voraus, dass du mit den Grundlagen von AVB und Milan vertraut bist.
Für eine kurze Übersicht kannst du die AVB Academy Einleitung lesen.


Mythos: AVB ist veraltet

Häufig wird behauptet, AVB sei veraltet. Grund dafür sei, dass die IEEE AVB-Arbeitsgruppe 2012 ihre Aktivitäten eingestellt habe. Sie wurde in die Time-Sensitive Networking (TSN) Task Group umbenannt, um den Fokus stärker auf industrielle Anwendungen zu legen.

Realität: AVB ist nach wie vor aktiv

Die AVB-Spezifikation (IEEE 802.1BA) ist weiterhin aktiv und wird stetig gepflegt; die aktuellste Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 2021. Die Umbenennung der Arbeitsgruppe spiegelt lediglich eine Erweiterung ihres Aufgabenbereichs wider, nicht das Ende von AVB.

Die Übertragung von Audio- und Videodaten bleibt ein zentraler Anwendungsbereich innerhalb von TSN. Gleichzeitig gibt es neue Einsatzgebiete wie die Industrieautomatisierung, der Automotive-Bereich und die Luft- und Raumfahrt. AVB ist also keineswegs veraltet, sondern hat sich innerhalb einer größeren Standardfamilie weiterentwickelt.


Mythos: Milan ist nicht mehr zeitgemäß

Manche glauben, dass Milan veraltet sei. Kritiker meinen, es sei von neueren, IP-basierten Audio-Netzwerken überholt worden.

Realität: Milan ist einer der modernsten Audio-Netzwerk-Standards

Tatsächlich ist Milan einer der neuesten professionellen Audio-Netzwerk-Standards. Die erste Version wurde 2018 veröffentlicht. Zum Vergleich: Weit verbreitete IP-basierte Standards wie AES67 stammen bereits aus dem Jahr 2013.

Wichtiger noch: Milan liefert deterministische Performance und präzises Timing, das IP-basierte Lösungen oft nur schwer erreichen. Es kombiniert Ethernet-Transport mit garantierter Zustellung und begrenzter Latenz, was es ideal für Anwendungen mit hoher Audio-Performance macht.


Mythos: Bei Milan handelt es sich um ein proprietäres Protokoll

Es wird behauptet, dass Milan ein proprietäres Protokoll sei. Demnach könne es nur von einer ausgewählten Gruppe von ProAV-Herstellern genutzt werden.

Realität: Milan basiert auf offenen IEEE-Standards

Milan ist nicht proprietär. Es handelt sich um eine offene Spezifikation, die auf IEEE-Standards aufbaut, darunter 802.1AS (Zeitsynchronisation), 802.1Q (Traffic Shaping), 1722 (Streaming Transport) und 1722.1 (Geräteerkennung und -steuerung).

Das Milan-Protokoll wird von führenden ProAV-Herstellern innerhalb der Avnu Alliance gemeinsam entwickelt. So wird sichergestellt, dass es den Anforderungen professioneller Anwender entspricht. Jeder Hersteller kann Milan implementieren, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Die vollständige Spezifikation ist kostenlos auf der Avnu Alliance Website verfügbar.


Mythos: Milan hat immer eine Latenz von 2 ms

Manche glauben, dass Milan immer eine Latenz von 2 ms hat. Hintergrund ist der Standardwert für AVB-Netzwerke, der bei 2 ms liegt. Daraus entsteht die Annahme, dass dieser Wert unveränderlich sei und die einzige mögliche Einstellung für Milan darstellen würde.

Realität: Milan garantiert eine begrenzte, aber nicht feste Latenz

Milan-Netzwerke sind vollständig time-aware. Alle Geräte im Netzwerk, einschließlich der Switches, haben die gleiche absolute Zeit. Dadurch lassen sich die Ende-zu-Ende-Übertragungszeiten präzise berechnen und garantieren.

Milan kann eine minimale Ausspielverzögerung bereitstellen, die auf dem Netzwerkpfad und den Eigenschaften des Audio-Streams basiert. Typische Werte liegen zwischen 0,25 ms und 2 ms.


Mythos: Es gibt kaum Switches, die AVB unterstützen

Es gibt Behauptungen, dass Milan unpraktisch sei. Hintergrund ist, dass spezielle Switches benötigt werden und dass große Hersteller AVB nicht mehr unterstützen würden.

Realität: AVB-zertifizierte Switches sind weit verbreitet

AVB-fähige Switches nutzen neueste Ethernet-Technologien wie das Precision Time Protocol v2 (PTPv2) für die präzise Zeitsynchronisation. Außerdem setzen sie Mechanismen für Traffic Shaping und Bandbreitenmanagement um, wie es die AVB-Spezifikation verlangt. So wird eine garantierte obere Grenze für die Übertragungszeit erreicht und Audio-Streams werden deterministisch übertragen.

Eine große Anzahl an Herstellern stellt zertifizierte AVB-Switches her. Unter den Herstellern sind Firmen wie Netgear, Cisco, Extreme Networks, Luminex, Niveo Professional, Adamson Systems Engineering, d&b audiotechnik, L-Acoustics und viele andere. Die Liste wird stetig erweitert.

Die aktuelle Übersicht aller AVB-zertifizierten Switches der Avnu Alliance ist auf der Certified Product Registry verfügbar.


Mythos: Milan blockiert immer 75 % der verfügbaren Netzwerk-Bandbreite

Es hält sich der hartnäckige Glaube, dass Milan immer 75 % der verfügbaren Netzwerk-Bandbreite reserviert. Demnach würde anderer Netzwerkverkehr stark eingeschränkt werden.

Realität: Dein Netzwerk ist nicht zu 75 % blockiert

Milan nutzt Bandbreiten-Reservierung, um zeitkritische Daten zuverlässig zu übertragen. Es wird jedoch nur so viel Bandbreite reserviert, wie für jeden Stream nötig ist. Zum Beispiel benötigt ein 8-Kanal-Stream bei 48 kHz etwa 17 Mbps.

Die restliche Bandbreite bleibt frei und kann für andere Anwendungen genutzt werden. Die Zahl 75 % beschreibt lediglich die maximale mögliche Reservierung (basierend auf den AVB Class A und Class B Grenzen). Eine detaillierte Berechnung für die Stream-Reservierung findest du hier: Stream Reservation Protocol.


Mythos: Das Milan-Steuerprotokoll wird immer noch entwickelt

Es wird gelegentlich angenommen, dass das Milan-Steuerprotokoll noch unvollständig ist und sich weiterhin in Entwicklung befindet. Deshalb sei Milan für den praktischen Einsatz ungeeignet.

Realität: Das Milan-Steuerprotokoll ist vollständig entwickelt und standardisiert

Milan nutzt das ATDECC-Protokoll (definiert in IEEE 1722.1) für die Steuerung. Es legt standardisierte Mechanismen für Geräte-Discovery, -Enumeration und Stream-Management fest.

Diese Steuerfunktionen sind seit der ersten Milan-Spezifikation definiert und bereits in zertifizierten Milan-Geräten implementiert.